Offener Brief
Sehr geehrter Herr Vizekanzler,
Sehr geehrter Herr Justizminister,
dieser Tage jährte sich der Wiener Justizpalast-Brand zum 90. Mal. 90
Jahre sind für eine sachliche Beurteilung der damaligen Ereignisse
mitunter noch zu wenig. Einigkeit herrscht mM darüber, dass mit dem
Justizpalastbrand 1934 und später 1938 eingeläutet wurden. Auch heute
trägt die Justiz eine große Verantwortung. Eine über jeden Zweifel
erhabene Rechtsprechung nimmt der Gesellschaft viel Druck. Daher sollte
qualifizierte Kritik der Rechtsprechung geprüft und nicht mit der
Argument ihrer Unabhängigkeit abgeschmettert werden. Gleichzeitig
befindet sich Österreich in einem "Richtungswahlkampf", in dem Gräben
vertieft statt zumindest überbrückt werden.
Seit 2008 begann ich
immer mehr an der Rechtsstaatlichkeit Österreichs zu zweifeln. Ich
beginne daher einen Blog, in dem ich meine Erlebnisse mit der
österreichischen Justiz sachlich offenlege.
Ich lasse mich überraschen, wer reagieren wird; und vor allem wie.
Und ob es auch eine positive Reaktion geben wird. Kritik an der
Rechtsprechung ist eine Kritik an der Grundfeste unserer Demokratie.
Daher halte ich gleich zu Beginn fest, dass ich kein Reichsbürger bin.
Ich war vielmehr als Beamter Teil der "Obrigkeit". Ich war als Beamter
auch öfters im Auftrag von Gerichten tätig. Ich werde daher wie bisher
auch weiterhin nicht den Rahmen der legalen Möglichkeiten verlassen. Mit
einer Ausnahme vielleicht, die sich meiner Meinung aber in einem
gewissen Graubereich befindet:
Mit Schreiben vom 18. April 2017 zu den Aktenzahlen BMJ-99004751/III 1/2017 und BMJ-1008132/0001-I/2017 teilte ich Ihnen mit, dass ich heuer oder nächstes Jahr nicht in den Freitod flüchten werde:
Personen, denen zu leben schwerer als zu sterben fällt, haben nach meinem Verständnis im Wesentlichen eine Pflicht und ein
Recht. Ihr vordringlichstes Recht ist, dass ihre Entscheidung ernst
genommen wird, und ihre letzte verbleibende Pflicht, durch ihre eigene
Befreiung andere nicht zu belasten.
Ob mir mehrheitlich das
moralische Recht, meiner durch Justizirrtümer ausweglos gewordenen
Situation ein Ende zu setzen, eingeräumt werden wird, wird sich weisen.
Ich werde es mir zum gegebenen Zeitpunkt nicht nehmen lassen.
Vorerst
werde ich "weitermachen". Beispielsweise bestimmte das BG Fünfhaus,
dass mein 40-jähriger Sohn mit Euro 580,-- im Monat auskommen muss. Mit
Euro 580,-- soll er nicht nur seine Lebenshaltungskosten sondern auch
eine "eigene Wohnung" finanzieren, weil seine Kinder, die zuvor ohne
Probleme in der Wohnung spielten und auch lebten, plötzlich Angst
bekommen hätten, seine jetzige Wohnung zu betreten. Ohne meine
Unterstützung würde er obdachlos und in weiterer Folge vermutlich
arbeitslos werden und von Sozialhilfe leben müssen.
Ich halte
auch fest, niemanden nötigen zu wollen. Ich verlangte nie, dass sich ein
Gericht meiner persönlichen Ansicht anschließen sollte. Ich
wollte nur einen fairen Prozess. Und gerade das letzte Verfahren am LG
St. Pölten, in dem ich aufgrund der Höhe des Streitwertes anwaltlich
vertreten sein musste, bietet ausreichenden Grund, die Fairness der
österreichischen Justiz zu hinterfragen.
2012 machte ich
mit einigen anderen, die sich auch Gedanken über die gängige
Gerichtspraxis machten, meinen ersten öffentlichen Hungerstreik vor dem
LG St. Pölten. Gegenstand war eine Verbesserung der Umsetzung der
Kinderrechte, insbesondere jener der Kinder strittiger Trennungen,
öffentlich zu diskutieren.
Am 12. September 2015 publizierte ich
meinen ersten Beitrag im Blog "Ave, iudex, morituri te salutant". Auch
dieser Titel sollte nicht voreilig als Anlass einer staatlichen
Zwangsmaßnahme wie zum Beispiel einer Haussuchung für eine mögliche
Beweissicherung etwaiger strafbarer Umtriebe missdeutet werden.
Gerichtsirrtümer
oder gar Gerichtswillkür geschehen gefühlsmäßig immer nur zu anderen
Zeiten oder an anderen Orten, am besten zu anderen Zeiten und an anderen
Orten. Bei all meinen Versuchen, den Fokus auf mögliche
Gerichtsirrtümer im Österreich unserer Zeit zu richten, kam ich immer
bestens mit der Exekutive aus. Ein solider Rechtsstaat muss auch
pointierte Kritik aushalten. Daher bin ich zuversichtlich, dass auch
mein künftiger Blog über die österreichische Rechtsprechung zu keinen
staatlichen Zwangsmaßnahmen führen wird.
Jede freie
Beweiswürdigung ist mit der jeweiligen Vorstellungskraft des
aktenführenden Richters beschränkt. Wenn ein außergewöhnlicher
Sachverhalt keine Deckung in einer richterlichen Vorstellungswelt
findet, sind Entscheidungen, die auf eine Fehleinschätzung aufbauen,
zwangsläufig zu hinterfragen.
Ich hoffe, die Ausführungen des
beiliegenden Entwurfs sind ausreichend, meine Beschwerde im Zusammenhang
mit meinen bisherigen Vorbringen zu bearbeiten. Für weitere Auskünfte
stehe ich gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
NN
Ich
lese die Worte und wundere mich selbst. Ist es denkbar, dass die
Rechtsprechung in Österreich einem Menschen den Willen nimmt,
weiterzuleben?
Selbsttötung reicht von einer spontanen
Verzweiflungstat bis zu einer durchgeplanten Befreiungstat. Medien
meiden Berichte über Selbstmorde. Vor allem über Selbstmorde infolge
einer als ungerecht empfundenen gerichtlichen Entscheidung. Selbstmord
ist in der österreichischen Gesellschaft verpönt. Zwar nicht akzeptiert
aber wenigstens verstanden wird Selbstmord nur bei Vorliegen
außergewöhnlicher Umstände:
Zum Beispiel bei einer dystopischen
Zukunft für sich selbst oder für seine nahen Angehörigen, beim
unverschuldeten Verlust seines gesamtes Lebenswerks oder bei einer nicht
endenden, zu Unrecht erfolgenden Verfolgung durch Gerichte.
Weil
alle drei Umstände auf mich zutreffen, kam ich zum Schluss, meinen Kampf
gegen aufkommende Selbsttötungsgedanken einzustellen.
Ein
intensives Gerichtsjahrzehnt, in dem außer für Besprechungen, Eingaben
und Verhandlungen keine Zeit für "normale Dinge" blieb, reicht. Die
letzte Verhandlung machte klar, dass die Verfolgung immer weitergehen
würde. Davon möchte ich beim nächsten Mal schreiben.
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