Dienstag, 26. April 2016

Neulich beim Gutachter

am Dienstag. Der Wartesaal ist voll. Dienstag dürfte der Nein-Gutachten-Tag sein. Die Begfragung erfolgt hinter einer einfachen Tür. Klar und deutlich zum Mithören für alle. Das war der Blonden gar anzusehen, dass sie sexuell verklemmt ist: Entweder Gangbang oder gar nix. Gut, die Dicke roch richtig nach Verstopfung: Zwei Tage Dünnschiss, dann wieder wochenlang nichts. Drinnen wird diktiert. Draußen sofort geschrieben. Eine Art Fabrik. Eine Gutachtenfabrik, wo die Wahrheit vom Fließband kommt. Standardisiert und schematisiert: anwendbar in jedem Verfahren: "Ihr Motor läuft nicht mehr? Warten Sie, hier das Ersatzteil. Ja, das passt für alle Modelle. Das bringt jedes Verfahren ins Laufen. In die Richtung, die Sie wünschen."
Jetzt bin ich dran: „Ja, warum kommen Sie?“
„Weil Sie mich vorgeladen haben."
„Warum wollen Sie in die Pension?"
„Ich komme zur Begutachtung.“
„Ah ja, richtig, die Pensionierung.“
„ Nein, nicht die Pensionierung, das Gericht.“
Jetzt nimmt der Gutachter zum ersten Mal mich wahr und den Akt, den er erst suchen muss, in die Hand. „Ah ja, Oskar Sima.“
„Nein, das ist mein Gegner, ich bin Hans Holt.“
„Ah ja, erzählen Sie.“
„Ich habe starke Zahnschmerzen. Sie können die Schwellung sehen.“
„Das macht nichts, erzählen, was Ihnen fehlt.“
In diesem Ton geht es weiter. Immer wieder muss der Gutachter ausgebessert werden. Textbausteine werden hier offensichtlich nicht nur geschrieben, sondern bereits diktiert. Auf die eigentlichen Fragen geht er nicht ein. Dabei hat das Gericht diese ganz genau inhaltlich und zeitlich fixiert. Vielleicht vertragen sich individuelle Fragen und Textbausteine nicht so richtig. Bis zum Schluss bleibt der Eindruck, der weiß gar nicht, der will gar nicht wissen, was da vor sich geht. Der redet, fragt, diktiert. Das einzig Störende scheint das Begutachtungsobjekt zu sein. Kommt da mit einer Gerichtssache, wo doch heute Nein-Pensionierungstag ist. Wer erteilt überhaupt so blöde Aufträge. Bei den geringen Vergütungen für Gutachten wird das ein Defizitgeschäft. Akte durchlesen ist einfach nicht drin. Dafür gibt es viel zu schöne Phrasen, „auch wenn der Untersuchte berechtigt über Schmerzen in den Schultern klagt, so ist davon auszugehen, dass … gegebenenfalls könnte eine neuerliche Kur in zwei Jahren … blablabla …

Das Rechtssystem machte ganz entscheidende Fortschritte. Früher wurden Delinquenten so lange gefoltert, bis dass die Wahrheit des Gerichts bestätigt wurde. Dabei wurde durchaus wissenschaftlich und modern verfahren: Man wusste, dass Delinquenten unter Folter dazu neigen, alles zu bestätigen, um die Folter zu beenden. Daher wurden oft universitäre Gutachten über das Ausmaß der rechtlich richtigen Foltermaßnahmen eingeholt. Außerdem galt ein Geständnis unter Folter nichts. Das Geständnis musste - unter Androhung der Folter - erneuert werden. Heute ist zur Wahrheitsfindung keine Folter mehr notwendig. Der Gutachter findet die Wahrheit. Wenn nicht schon davor die Richterin aufgrund der freien Beweiswürdigung die Wahrheit gefunden hat. Unstrittig ist, damals wie heute wird Recht gesprochen, indem die Wahrheit gebrochen wird; das ist doch viel eleganter, als über Wahrheit Recht zu brechen.

Und damit beide Wahrheiten, die der Richterin und die des Gutachters nicht von einander abweichen, wird im gerichtlich Auftrag die wesentliche Frage für den Gutachter gleich unterstrichen und interpretiert. Wie zum Beispiel: … dass er während des gesamten Verfahrens nicht geschäfts- und dispositionsfähig sei ... um für den Fall der Prozessunfähigkeit des Beklagten sicherzustellen, dass ein Sachwalter den Beklagtenvertreter überwachen und z.B. in der Lage ist, die Zurückziehung des Rechtsmittels zu veranlassen ...

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