Dienstag, 18. Juli 2017

Justizopfer sind eine diskriminierte, verfolgte Minderheit

Offener Brief

Sehr geehrter Herr Vizekanzler,
Sehr geehrter Herr Justizminister,

dieser Tage jährte sich der Wiener Justizpalast-Brand zum 90. Mal. 90 Jahre sind für eine sachliche Beurteilung der damaligen Ereignisse mitunter noch zu wenig. Einigkeit herrscht mM darüber, dass mit dem Justizpalastbrand 1934 und später 1938 eingeläutet wurden. Auch heute trägt die Justiz eine große Verantwortung. Eine über jeden Zweifel erhabene Rechtsprechung nimmt der Gesellschaft viel Druck. Daher sollte qualifizierte Kritik der Rechtsprechung geprüft und nicht mit der Argument ihrer Unabhängigkeit abgeschmettert werden. Gleichzeitig befindet sich Österreich in einem "Richtungswahlkampf", in dem Gräben vertieft statt zumindest überbrückt werden.

Seit 2008 begann ich immer mehr an der Rechtsstaatlichkeit Österreichs zu zweifeln. Ich beginne daher einen Blog, in dem ich meine Erlebnisse mit der österreichischen Justiz sachlich offenlege.

Ich lasse mich überraschen, wer reagieren wird; und vor allem wie. Und ob es auch eine positive Reaktion geben wird. Kritik an der Rechtsprechung ist eine Kritik an der Grundfeste unserer Demokratie. Daher halte ich gleich zu Beginn fest, dass ich kein Reichsbürger bin. Ich war vielmehr als Beamter Teil der "Obrigkeit". Ich war als Beamter auch öfters im Auftrag von Gerichten tätig. Ich werde daher wie bisher auch weiterhin nicht den Rahmen der legalen Möglichkeiten verlassen. Mit einer Ausnahme vielleicht, die sich meiner Meinung aber in einem gewissen Graubereich befindet:

Mit Schreiben vom 18. April 2017 zu den Aktenzahlen BMJ-99004751/III 1/2017 und BMJ-1008132/0001-I/2017 teilte ich Ihnen mit, dass ich heuer oder nächstes Jahr nicht in den Freitod flüchten werde:
Personen, denen zu leben schwerer als zu sterben fällt, haben nach meinem Verständnis im Wesentlichen eine Pflicht und ein Recht. Ihr vordringlichstes Recht ist, dass ihre Entscheidung ernst genommen wird, und ihre letzte verbleibende Pflicht, durch ihre eigene Befreiung andere nicht zu belasten.

Ob mir mehrheitlich das moralische Recht, meiner durch Justizirrtümer ausweglos gewordenen Situation ein Ende zu setzen, eingeräumt werden wird, wird sich weisen. Ich werde es mir zum gegebenen Zeitpunkt nicht nehmen lassen.

Vorerst werde ich "weitermachen". Beispielsweise bestimmte das BG Fünfhaus, dass mein 40-jähriger Sohn mit Euro 580,-- im Monat auskommen muss. Mit Euro 580,-- soll er nicht nur seine Lebenshaltungskosten sondern auch eine "eigene Wohnung" finanzieren, weil seine Kinder, die zuvor ohne Probleme in der Wohnung spielten und auch lebten, plötzlich Angst bekommen hätten, seine jetzige Wohnung zu betreten. Ohne meine Unterstützung würde er obdachlos und in weiterer Folge vermutlich arbeitslos werden und von Sozialhilfe leben müssen.

Ich halte auch fest, niemanden nötigen zu wollen. Ich verlangte nie, dass sich ein Gericht meiner persönlichen Ansicht anschließen sollte. Ich wollte nur einen fairen Prozess. Und gerade das letzte Verfahren am LG St. Pölten, in dem ich aufgrund der Höhe des Streitwertes anwaltlich vertreten sein musste, bietet ausreichenden Grund, die Fairness der österreichischen Justiz zu hinterfragen.

2012 machte ich mit einigen anderen, die sich auch Gedanken über die gängige Gerichtspraxis machten, meinen ersten öffentlichen Hungerstreik vor dem LG St. Pölten. Gegenstand war eine Verbesserung der Umsetzung der Kinderrechte, insbesondere jener der Kinder strittiger Trennungen, öffentlich zu diskutieren.

Am 12. September 2015 publizierte ich meinen ersten Beitrag im Blog "Ave, iudex, morituri te salutant". Auch dieser Titel sollte nicht voreilig als Anlass einer staatlichen Zwangsmaßnahme wie zum Beispiel einer Haussuchung für eine mögliche Beweissicherung etwaiger strafbarer Umtriebe missdeutet werden.
Gerichtsirrtümer oder gar Gerichtswillkür geschehen gefühlsmäßig immer nur zu anderen Zeiten oder an anderen Orten, am besten zu anderen Zeiten und an anderen Orten. Bei all meinen Versuchen, den Fokus auf mögliche Gerichtsirrtümer im Österreich unserer Zeit zu richten, kam ich immer bestens mit der Exekutive aus. Ein solider Rechtsstaat muss auch pointierte Kritik aushalten. Daher bin ich zuversichtlich, dass auch mein künftiger Blog über die österreichische Rechtsprechung zu keinen staatlichen Zwangsmaßnahmen führen wird.

Jede freie Beweiswürdigung ist mit der jeweiligen Vorstellungskraft des aktenführenden Richters beschränkt. Wenn ein außergewöhnlicher Sachverhalt keine Deckung in einer richterlichen Vorstellungswelt findet, sind Entscheidungen, die auf eine Fehleinschätzung aufbauen, zwangsläufig zu hinterfragen.

Ich hoffe, die Ausführungen des beiliegenden Entwurfs sind ausreichend, meine Beschwerde im Zusammenhang mit meinen bisherigen Vorbringen zu bearbeiten. Für weitere Auskünfte stehe ich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen
NN


Ich lese die Worte und wundere mich selbst. Ist es denkbar, dass die Rechtsprechung in Österreich einem Menschen den Willen nimmt, weiterzuleben?

Selbsttötung reicht von einer spontanen Verzweiflungstat bis zu einer durchgeplanten Befreiungstat. Medien meiden Berichte über Selbstmorde. Vor allem über Selbstmorde infolge einer als ungerecht empfundenen gerichtlichen Entscheidung. Selbstmord ist in der österreichischen Gesellschaft verpönt. Zwar nicht akzeptiert aber wenigstens verstanden wird Selbstmord nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände:
Zum Beispiel bei einer dystopischen Zukunft für sich selbst oder für seine nahen Angehörigen, beim unverschuldeten Verlust seines gesamtes Lebenswerks oder bei einer nicht endenden, zu Unrecht erfolgenden Verfolgung durch Gerichte.
Weil alle drei Umstände auf mich zutreffen, kam ich zum Schluss, meinen Kampf gegen aufkommende Selbsttötungsgedanken einzustellen.

Ein intensives Gerichtsjahrzehnt, in dem außer für Besprechungen, Eingaben und Verhandlungen keine Zeit für "normale Dinge" blieb, reicht. Die letzte Verhandlung machte klar, dass die Verfolgung immer weitergehen würde. Davon möchte ich beim nächsten Mal schreiben.

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